Eine Frage von euch: Wo sind die Nordseekrabben hin?

Jungesellenabschied mit der Frage: "Wo sind die Nordseekrabben hin?"

In Köln haben wir eine neue Frage von einem Junggesellenabschied erhalten und wir sind mächtig stolz auf die Männer. Der Bräutigam war bereits mit all’ seinen Aufgaben fertig und im wohlverdienten Junggesellen-Feierabend, als seine Freunde ihm ein weiteres Bier aus dem Kiosk holten und bei ihrer Rückkehr nicht mehr nur auf ihn sondern auch auf uns trafen. Gut, dass der Junggesellen-Feierabend eingeleitet war, denn nach dem harten Tag gönnten sich die Männer eine Runde Experimente und Wissenschaft. Chapeau! Und die Köche und Hobbyangler haben uns eine Frage mit auf den Weg gegeben. Bei ihren Angeltouren an der Nordsee haben sie beobachtet, dass sie, wenn überhaupt, nur noch auf dem Schwarzmarkt Krabben kaufen können. Logische Konsequenz ist also die Frage an uns: Wo sind die Nordseekrabben hin?

Antwort

Grundsätzlich können wir die Antwort ganz humorvoll verpacken: sie sind im Wasser. Wenn sie nicht gefangen wurden. Mit den Krabben an der Nordsee ist es nämlich so: es gibt dank biologischer und physikalischer Einflüsse saisonale Schwankungen bei den fischbaren Krabbenvorkommen. Und es gibt die Fischerei mit ihren Auflagen und auch Nicht-Auflagen, die hier ebenfalls einige Einflüsse hat. Gleichzeitig gibt es grundsätzlich keine vollständigen Bestandsberechungen für die Krabben, wie sie für andere Fischarten vorliegt. Das sogenannte Fischereimanagement hat also alle Hände voll zu tun.

Saisonale Schwankungen aufgrund der Biologie der Krabben

Fangen wir mal mit den saisonalen Schwankungen an. Die possierlichen Krabben heißen im Fachjargon Nordseegarnelen oder auch Granat. Sie gehören zu den Krabben und diese wiederum bilden eine sehr große Gruppe von Tieren, zu denen zum Beispiel auch die Wollhandkrabben und die Gemeinen Strandkrabben (letztere sind die, die allgemein unter der Bezeichnung Krebs bekannt sind) gehören. Die Nordseekrabben sind ein bisschen die Unter-Wasser-Chamäleons unter den Krabben, weil sie Pigmentzellen haben, mit denen sie sich farblich an den Umgebung anpassen. Die Farbanpassung ist allerdings bei weitem nicht so fix wir bei den normalen Chamälenons und hilft leider auch nicht gegen Fischernetze…

Die Nordseegarnelen werden nicht sonderlich alt bei uns im Fanggebiet. An der geringen Durchschnittsgröße des Fangs können die Wissenschaftler erkennen, dass der Bestand überfischt ist. Die meisten sind bloß einjährig (als Rentner-Garnele würde ich mal eine dreijährige betiteln, wobei der Name Rentner-Krabbe vielleicht noch nicht ausreichend etabliert ist… 😉 ) und leben während der Sommermonate in ihrer Jugend im Watt und in den Prielen, also vor allem im flachen Küstengewässer. Die Flußmündungen zählen auch dazu. Die älteren Krabben wohnen gern in tieferen Gewässerschichten und allesamt ziehen sich im Winter dorthin zurück. Grundsätzlich sieht man sie des nächtens umherziehen, tagsüber halten sie sich lieber bedeckt im Sand auf. Sie sind gemeinsam mit den Muscheln (einen Artikel über Muscheln findet ihr hier) ganz groß bei der Resteverwertung und futtern sich durch das Sortiment des Meeres: am Anfang ihres Lebens nutzen sie Plankton und wagen sich dann an größere Brocken: kleine andere Garnelen, größere andere Garnelen, kleine Muscheln und Würmer und was sonst noch so vor ihren Scheren zum Fressen vorbeischwimmt.

Garnele in Becherlupe
Henri, unsere “Gast”-Garnele aus der Ostsee – der heimliche Star aus Binz ( ganzer Bericht hier)

Die Damenwelt hütet ihren Nachwuchs unter ihrem Garnelenschwanz, um einen vorzeitigen Fischfraß derselbigen zu vermeiden (wie übrigens auch mein aktuell liebstes merkwürdiges Meerestier: die nahe Verwandschaft namens Riesenassel, hier ein Artikel über die Tiere), allerdings lassen sich im September und Oktober keine eiertragenden Weibchen finden. Die Larven (sie gehören übrigens zum Zoo-Plankton, einen Artikel über Plakton und das Plankton-Spiel gibt es hier) schlüpfen über den Winter und entwickeln sich aufgrund der niedrigen Wassertemperaturen nur langsam. Mit steigender Wassertemperatur im Frühling kommt wieder Schwung in den Nachwuchs und dessen Größenwachstum inklusive Häutungen. Die Garnelen verfügen, wie Insekten, über ein Außenskelett,  und müssen deshalb öfters die “Kleider” wechseln. Im Mai und Juni hängen die Jungtiere dann im Watt herum und erreichen meist im Herbst die kommerzielle Fanggröße von 5cm Gesamtlänge. Bis zur ausgewachsenen, geschlechtsreifen Krabbe braucht es übrigens 25 Häutungen und die Damen sind größer als die Herren mit maximal etwa 9cm. Allerdings ist die allgemeine Garnelengröße, wie gesagt, in den letzten Jahren zurückgegangen.

Schwankungen aufgrund von Fressfeinden

Die hauptsächlichen Fressfeinde in der Nordsee sind Jungfische. Es ist ja wie bei der menschlichen Jugend: immer haben die Hunger! Immer! 😉 In der Nordsee sind es vor allem Wittlinge und Kabeljau (beide Arten gehören zu den Dorschen), die sich traditionell den Bauch mit Krabben vollschlagen. 1990 und auch 2016 waren die Wittlinge besonders hungrig und haben die Krabbenmengen stark dezimiert. Und auch 2017 schlugen sie wieder zu. Insgesamt hat allerdings der Klimawandel ein wenig eingegriffen und ändert die Wassertemperaturen (hier ein Artikel über den Golfstrom für einen Überblick): Während die Krabben recht temperaturtolerant sind, finden die Fische die gestiegenen Temperaturen gar nicht so witzig und schwimmen lieber in etwas kühleres Nordseewasser. Halt dorthin, wo es im Sommer nicht ganz so viele Krabben zum verspeisen gibt. Und die Krabben können sich ab und zu etwas entspannen. Wären da nicht die Fischer…

Fischerei im Wandel

Zur Einstimmung für alle, die 15 Minuten Zeit für eine Reportage über die Krabbenfischerei ab Büsum haben, eine kurze Doku:

Es gibt fangstarke und fangschwache Jahre und darüberhinaus noch die normalen jahreszeitlichen Schwankungen. Die Krabbenfangsaison startet im Frühjahr (März/April) und endet im Dezember. Ihren Höhepunkt erreicht sie im Oktober. Im Herbst ist also Hochsaison bei den Krabbenfängern und damit großes Fluchttraining bei den Krabben… Schwimmen die Krabben zu tief, kommen die Boote mit ihren Fangvorrichtungen nicht an sie ran. Schwimmen sie gar nicht, sondern stolzieren mehr oder weniger offensichtlich durch das Watt, kommt auch keiner an sie ran. Außer die Pferdefischer in Belgien (allerdings eine echte Randgruppe unter den Krabbenfischern…), denn die sind direkt an der Wasserkante unterwegs. Es handelt sich um einen fast verschwundenen Beruf, der zum  Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Weiter unten haben wir ein Video davon für euch.

Krabbenfang Deutschland (bis 2015)/Quelle: ICES WGCRAN REPORT 2016-Interim Report of the aus Working Group on Crangon Fisheries and Life History (WGCRAN)

In den letzten Jahren haben die Fischer also aufgrund der saisonalen Schwankungen unterschiedliche Mengen an Krabben aus dem Meer geholt. In fangstarken Jahre sah das in Zahlen so aus: 2005 mit gefangenen 38 613 Tonnen und 2014 mit 37 513 Tonnen in der Nordsee insgesamt. Das ist im Vergleich zu früher enorm viel. Bis Ende der 80er Jahre schwankten die Fangmengen zwischen 15.000 und 25.000 Tonnen pro Jahr. Links seht ihr das Diagramm des deutschen Anteils. Für die Krabbenfischer selbst sind die saisonalen Schwankungen mit großen Preisschwankungen der leicht verderblichen Ware verbunden. Das kennt ihr ja vielleicht auch noch aus dem Wirtschaftsunterricht: Angebot und Nachfrage. Wenn das Angebot sehr groß ist, so wie es z.B. 2011 der Fall war, fallen die Preise. Aufgrund des fallenden Einkommens gab es deshalb 2011 auch einen Streik, denn für nur 1,5€ pro Kilo Krabben können die Fischer nicht überleben. Grund ist unsere Nachfrage, unser Konsumverhalten und die monopolartigen Zustände auf dem Krabbenmarkt. Mehr dazu gibt es in diesem Brand Eins Artikel.

Die Fangmethoden haben sich so verbessert (im Sinne von mehr Krabben in den Netzen, denn nachhaltig ist die Krabbenfischerei noch nicht), dass insgesamt eine immer größere Menge gefischt werden kann. Eine Obergrenze der Fangmenge gibt es derzeit leider nicht. Das ist aus biologischer Sicht bedenklich, denn die Fischer suchen Krabben in ökologisch wichtigen Gebieten, in denen die Jungfische heranwachsen und die zu sensiblen Gebieten zählen (Natura2000 und UNESCO-Weltnaturerbe). Es gibt freiwillige Bewirtschaftungspläne und die Erzeugergemeinschaften (ein etwas irreführendes Wort, denn die Natur “erzeugt” ja die Krabben, gemeint sind also die Fischer, die sich zusammengetan haben und so den Fang durch Einsatz ihrer Netze “erzeugen”) haben sich darauf geeinigt, sich nachhaltig zertifizieren zu lassen. Das entsprechende Dokument aus diesem Jahr findet ihr unter der zweiten Tauchtiefe ganz unten. Am Thünen-Institut in Hamburg forschte man z.B. an schonenderen Netzen und hat an der optimalen Maschengröße für die Steerte (die Netz-Enden) gesucht, um den Beifang zu reduzieren. Genaue Ergebnisse gibt es hier. Die Wissenschaftler haben also alle Hände voll zu tun, Empfehlungen zu geben, um die Krabbenfischerei so umweltverträglich wie möglich zu machen. Wie es bei ihnen bei der Krabbenforschung zugeht, könnt ihr euch hier anschauen.

Wegen der mittlerweile hohen Hygienestandards werden die Krabbben nicht mehr so einfach wie früher für den Hausgebrauch direkt vom Kutter verkauft. Das wiederum erweckt vermutlich für viele Touristen an der Nordsee den Eindruck, als gäbe es keine Krabben mehr. Aber ihr wisst ja jetzt: es gibt sie noch. Allerdings kommen sie nicht immer so einfach bei euch an, wie früher, als die Fischer direkt vom Boot oder vom Pferd verkauften und die Kinderbeschäftigung am Abend beim Nordseeurlaub Krabbenpulen für das Abendbrot hieß…

Krabbenfischer 1941 /  Video von Nederlands Instituut voor Beeld en Geluid

Erste Tauchtiefe

 

 Zweite Tauchtiefe